Mittwoch, 10. Dezember 2008
Ansteckende Lebensfreude
lachende FrauKann ein fröhlicher Nachbar, die ganze Umgebung mit Lebensfreude infizieren? Warum werden die Freunde von Dicken selber dick? Und sind Kopfschmerzen ansteckend? In der aktuellen Ausgabe des britischen Ärzteblattes (BMJ) ist ein amüsanter Schlagabtausch im Gange, ob sich soziale Phänomene Epidemie-artig ausbreiten können, oder ob das Unfug ist.

Framingham, ein Ort in der Nähe von Boston im US-Bundesstaat Massachusetts, gilt als die besterforschte Gemeinde der Welt. Seit 1948 unterzieht sich ein Großteil der Bürger freiwillig ärztlichen Untersuchungen, sowie einem ausufernden Fragenkatalog über alle Bereiche des Lebens.
Über die Framingham-Studien wurden zahllose Risikofaktoren identifiziert, darunter so berühmte wie Rauchen, Cholesterin oder Übergewicht.

Der unglaubliche Datensschatz inspiriert die Wissenschaftler auch immer wieder zu - auf den ersten Blick absurden - Gedankenspielen. So wurden die Framinghamer Bürger beispielsweise auch gebeten, die Namen und Adressen ihrer Freunde bekannt zu geben. Weil diese zum Großteil auch Studienteilnehmer sind, ergab sich ein soziales Netzwerk aus 4739 Personen, über die (fast) alles bekannt war. Statistikerherz, was willst du mehr?

Nicholas Christakis, Soziologe an der Harvard Medical School und der Politologe James Fowler von der Universität von Kalifornien in San Diego interessierten sich für das Lebensglück der Einwohner, das über die Antworten auf mehrere Fragen in einer Skala festgelegt wurde.
Dabei stellte sich heraus, dass Lebensfreude tatsächlich ansteckend ist, und sich über das soziale Netz in Beruf, Nachbarschaft und Freundeskreis epidemisch ausbreitet.
Seltsamerweise ist der eigene Ehepartner dabei am wenigsten infektiös. Die Chance, dass das Glück von Mann oder Frau aufeinander übersprang, betrug nur recht magere acht Prozent. Wenn ein glücklicher Bruder oder eine happy sister in der Nähe lebte, stieg die Chance auf das eigene Lebensglück immerhin um 14 Prozent. Die intensivste Ansteckungsgefahr geht hingegen von den unmittelbaren Nachbarn aus. Wenn diese über den gemeinsamen Gartenzaun regelmäßig gute Stimmung verbreiten, so steigt die eigene Lebensfreude gleich um satte 34 Prozent.

"Alles Blödsinn", entgegneten der Finanzfachmann Ethan Cohen-Cole sowie Jason Fletcher, Public Health Experte an der Yale University. Soziale Faktoren seien keinesfalls ansteckend, sondern würden durch gemeinsame Lebensumstände erklärt.
Die beiden nahmen sich dazu drei solche Phänomene: die Hautkrankheit Akne, die Körpergröße und Kopfschmerzen. Sowohl Akne als auch Kopfschmerzen gelten als nicht ansteckend. Und dennoch kam bei der Auswertung dasselbe raus, wie bei der Lebensfreude: Das persönliche Umfeld übt einen enormen Einfluss aus. Freunde mit Akne erhöhen das eigene Aknerisiko um 62 Prozent. Die Migräne der Freundin springt zu 47 Prozent über. Und sogar die Körpergröße färbt zu 20 Prozent ab.
Was steckt hier also dahinter? Suchen sich große Menschen nur annähernd gleich groß gewachsene Freunde und bleiben ebenso unter sich, wie die Kleineren?
Keinesfalls, lautet die Antwort der Autoren. Die Antwort liegt vielmehr in den Einflussfaktoren aus Alter, ethnischer Herkunft, Ausbildung und sonstigem Sozialmilleu. Latinos seien nunmal im Schnitt etwas kleiner als "Kaukasier", wie Angehöriger weißer Hautfarbe im angloamerikanischen Sprachraum wissenschaftlich bezeichnet werden. Auch die Neigung zu Akne hängt mit der Herkunft zusammen. Und bei Kopfschmerzen steigt das Risiko eben mit Bildung und Einkommen. So unspektakulär ließen sich diese Phänomene erklären.
Und auch das Deutsche Ärzteblatt lässt sich von dieser miesen Stimmung anstecken:
"Tatsächlich dürfte der Unterhaltungswert solcher Studien für die Medien größer sein als der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn."

Ich bin mir da nicht so sicher. Denn hat schon einmal jemand untersucht, worin das Wesen von Störgrößen besteht?
Warum haben denn Menschen aus Familien mit höherer Bildung und Einkommen eher Kopfschmerzen?
Etwa deswegen, weil sie mehr über Kopfschmerzen reden und damit die Aufmerksamkeit und die Sensibiliät für das "Nachspüren" eigener Kopfschmerzen erhöhen?
Wer hier erst mal die Schmerz-Schwelle ordentlich runter gefahren hat, wird schon minimalste Kopfschmerzen wahr nehmen und allein durch die Aufmerksamkeit werden auch die Schmerzen intensiver. Und wenn sich diese dann auch noch für ein bestimmtes Argumentationsmuster eignen (Z.B: Absage einer unliebsamen Einladung, Sexverweigerung, Beenden oder Aufschieben von Arbeit, Schwänzen der Schule), so kann sich Kopfschmerzen rasch verselbständigen und unbewusst internalisiert werden.
Ein Hinweis auf den enormen Einfluss psychischer Faktoren ist auch die hohe Empfänglichkeit von Kopfschmerzen auf Plazebo-Therapie.

Wer diese Phänomene als simple statistische Störgrößen abtut, greift meiner Meinung nach gewaltig zu kurz.

Denn es ist nunmal eine Tatsache, dass Beispiele wirken. Ein Freundeskreis, in dem geraucht wird, erhöht die Rückfallsquote enorm. Während ein Freundeskreis, in dem alle stark übergewichtig sind, wohl auch eine Menge dafür nötiger Einstellungen und Lebensgewohnheiten vermittelt.

Dass sich diese Negativschleifen allerdings am Beispiel der Lebensfreude auch ins Gegenteil umkehren lassen, das ist für mich die positive wissenschaftliche Erkenntnis des Tages.

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Alte Fußballerweisheit!
Ich bin ein Optimist, sogar meine Blutgruppe ist positiv.

(Toni Polster)

Natürlich verbreitet sich alles in der Nacbarschaft. Man stelle sich nur die Fremdgeherei vor: dazu braucht es bekanntlich ja immer mindestens 2. Bei 2en schon 4 usw. Eigentlich eine simple quadratische Funktion.

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