Mittwoch, 3. Dezember 2008
„Grippe-Experten beraten die Bevölkerung wie Staubsaugervertreter"
Die Grippe-Impfungen wirken schlecht. Bei Millionen von Tamiflu-Packungen, die 2005, am Höhepunkt der Vogelgrippe-Hysterie angeschafft wurden, läuft demnächst das Haltbarkeitsdatum ab. Zum Glück ist weit und breit keine Pandemie im Anmarsch. Der Cochrane-Impfexperte Tom Jefferson hält die ganze Influenza-Vorsorge für einen schlechten Aprilscherz.

Kürzlich ist im österr. Nachrichtenmagazin profil ein Artikel von mir zur Influenza-Vorsorge erschienen. Ein ähnlicher Artikel auch zuvor in der Beilage "Gesund" der Berliner Morgenpost
tjefferson.jpg Hier bringe ich die ungekürzte Fassung des Interviews, das ich mit dem britischen Epidemiologen Tom Jefferson geführt habe. Er hat als Koordinator der Cochrane-Vaccine-Field die gesamte Evidenz zur Grippe-Impfung aufgearbeitet. Das größte Wirksamkeitsloch fand sich bei Senioren, sowie bei Babys und Kleinkindern. Auf seiner persönlichen Homepage hat Jefferson eine "Pandemie-Clock" eingerichtet, die in der Art eines Countdowns die Tage bis zum Ausbruch der katastrophalen Influenza-Pandemie herunter zählt. Auf "Null" springt sie jährlich am 1. April.


Ehgartner: In den letzten beiden Jahren haben mehrere aufwendige Studien Ihre Analysen zur schlechten Wirksamkeit der Grippe-Impfung bestätigt. Hat sich damit ihre Sichtweise international durchgesetzt?

Jefferson: Nein, denn zu den Entscheidungsträgern ist das gar nicht durchgedrungen. Diese haben ja auch keinerlei Notiz von unseren Übersichtsarbeiten im Journal Lancet genommen. Darf ich noch mal in Erinnerung rufen, dass wir dafür nicht eine oder zwei oder drei Studien geprüft haben, sondern wir haben alle verfügbaren Daten der letzten 50 Jahre zur Wirksamkeit und Sicherheit der Grippe-Impfung in unsere Analysen aufgenommen.

Ehgartner: Wie war denn die Qualität dieser Studien?

Jefferson: Großteils sehr schlecht - die Laufzeit war meist viel zu kurz, auf Nebenwirkungen wurde kaum geachtet. Das Hauptproblem lag allerdings in der Interpretation der Daten. Meist standen diese nämlich in direktem Gegensatz zu den Schlussfolgerungen der Autoren. Die Grippe-Impfung ist scheinbar zu einer Art Gospel geworden, wo vor allem der Glaube zählt.

Ehgartner: Liegt das daran, dass die meisten Studien von den Herstellern selbst finanziert werden?

Jefferson: Zum einen natürlich. Aber es wäre zu einfach, die Schuld allein der Pharmaindustrie zu geben. Sie verkaufen Impfungen, weil das ihr Geschäft ist. Das wirkliche Problem sind - wie ich sie nenne - die schlechten Lehrer: so genannte Impfexperten, die die Bevölkerung beraten wie Staubsaugervertreter, die ihre Ware anbringen wollen.

Ehgartner: Was wäre denn das Problem, wenn die Grippe-Impfung weniger gut wirkt als andere Impfungen? Das ist doch immerhin besser als gar kein Schutz.

Jefferson: Weltweit werden viele Milliarden in die Influenza-Vorsorge investiert. Das ist eine Menge Geld, das die Politiker auf Basis guter wissenschaftlicher Evidenz sinnvoll einsetzen sollten. Zuerst muss man prüfen, ob der Impfstoff wirkt, als nächstes ob er sicher ist. Was wir derzeit haben ist die perfekte Ungewissheit. Wir wissen nicht, ob Impfen besser oder gleich oder sogar schlechter ist, als gar nichts zu tun. Impfungen sind pharmazeutische Interventionen, die - wie alle Arzneimittel - auch Schaden anrichten können. Wir brauchen endlich große, unabhängig finanzierte Studien über mehrere Grippe-Saisonen, in der die Impfstoffe gegen Placebo getestet werden. Nur so können wir Sicherheit gewinnen. Und die Kosten wären verschwindend im Vergleich zu dem, was wir derzeit - völlig ins Blaue hinein - ausgeben.

Ehgartner: Mediziner und Behördenvertreter meinen, eine derartige Studie wäre unethisch, weil jene, die in die Placebogruppe gelost würden, keinen Schutz vor Grippe haben.

Jefferson: Derzeit wird Gesundheitspolitik betrieben, ohne dass es dafür irgend eine wissenschaftliche Basis gibt. Das nenne ich unethisch.
Nehmen sie beispielsweise die Empfehlung des Robert-Koch-Institut zur Frage, ob schwangere Frauen Grippe geimpft werden dürfen. Darin heißt es: "Zur Influenza-Impfung in der Schwangerschaft wird seitens der pharmazeutischen Unternehmen darauf verwiesen, dass gezielte Studien zur Sicherheit der Impfung bei Schwangeren fehlen, Schäden aber nicht bekannt sind, die Impfung ist daher nicht kontraindiziert". Man weiß also nichts, empfiehlt die Impfung aber trotzdem. Leute, die solche Richtlinien herausgeben, sollten schnellstens von ihren Posten entfernt werden.


Tom Jefferson, 54, ist Koordinator der Cochrane-Vaccine-Field, und hat in den letzten drei Jahren eine Serie von Metaanalysen zur Influenza Vorsorge bzw Therapie mit Neuraminidase Inhibitoren (Tamiflu, Relenza) veröffentlicht. Hier findet sich eine Literatur-Übersicht. Hier eine deutsche Zusammenfassung der Analyse Ergebnisse zur antiviralen Therapie.
Tom Jefferson lebt mit seiner Familie in Rom.

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