Montag, 2. Juni 2008
„Das hätte dem Impfgedanken geschadet“
Der Münchner Epidemiologe Rüdiger von Kries über seine Vorbehalte gegen die HPV-Impfung, den Zweck einer Windpockenimpfung und die Entscheidungsprozesse in der Ständigen Impfkommission, der er seit langem angehört. Von ihm stammt eine Studie, die Hexavac, dem ehemaligen meist verwendeten Sechsfach-Impfstoff für Babys, eine signifikant erhöhte Rate von unerwarteten plötzlichen Todesfällen im zweiten Lebensjahr attestierte.

Ruediger von Kries

Ehgartner: Wie man hört wurde in der STIKO heftig über die Empfehlung für eine allgemeine Windpockenimpfung ab dem ersten Lebensjahr gestritten. Schließlich wurde – als erstes Land Europas - doch eine positive Empfehlung gegeben. Was waren dafür die Argumente?

Kries: Ich war lange gegenüber der Windpockenimpfung skeptisch. Muss man wirklich gegen Varizellen impfen? Die Varizellen Impfung macht in erster Linie das Leben einfacher – schwere Morbidität und Mortalität sind selten. Man wird darauf achten müssen, hohe Durchimpfungsraten zu erzielen um eine ausreichende Herdenimmunität zu erreichen. Das ist nur möglich, wenn es einen Kombi-Impfstoff gibt. Der ist jetzt am Markt. Und jetzt kann man sagen: why not?
Es gibt Komplikationen bei Windpocken, sogar Todesfälle. Beispielsweise bei Kindern, die an Windpocken erkrankt sind, als sie gerade die Chemotherapie gegen Leukämie bekamen. Und die sind dann gestorben. Solche Todesfälle können nur über Herdimmunität verhindert werden - wenn es keine Varizellen mehr gibt – oder wenn die Kinder vor der Chemotherapie geimpft worden sind.

Ehgartner: Wie beurteilen Sie das Risiko, dass die Windpocken-Impfung bei den Kindern zu einer Steigerung des Gürtelrose-Risikos bei Erwachsenen führt?

Kries: Es ist bekannt, dass Menschen, die seltener Kontakt zu Windpocken kranken Kindern haben, häufiger Gürtelrose bekommen. Wenn es in folge der Impfung keine Varizellen mehr gibt, wird das Immunsystem seltener geboostert, das ist schon klar. Wenn allerdings einmal alle Kohorten geimpft sind, werden diese wahrscheinlich seltener an Gürtelrose erkranken, weil die abgeschwächten Impfviren diese seltener auslösen. Wie sich das genau auswirken wird – und ob es ein Zeitfenster mit höherem Risiko gibt ist unklar.

Ehgartner: Die Impfstoff-Hersteller reagierten auf das Problem, indem sie auch noch eine Impfung gegen Gürtelrose für Erwachsene auf den Markt brachten. Diese Impfung ist nichts anderes als eine hoch dosierte Windpocken-Impfung und soll den Kontakt mit Windpocken-kranken Kindern simulieren. Die neue vierfach Impfung gegen Masern-Mumps-Röteln und Windpocken kostet nun doppelt so viel wie die alte MMR, nämlich 100 Euro. Die Gürtelrose Impfung nochmal das doppelte. Damit hat die Industrie aus einer überwiegend harmlosen Kinderkrankheit ein gutes Geschäft gemacht – sehen Sie das nicht so?

Kries: Dass Impfungen nicht gratis sind, das wissen wir. Man hat allerdings auch einen Benefit für die Gesellschaft. Windpocken machen keinen Spass und manchmal auch noch lebensgefährliche Komplikationen. Punkt. Dass man zweimal impfen muss, ja so ist das Leben. Vielleicht wird man auch mal dreimal impfen müssen. Nichts ist umsonst. Klar verdient die Industrie damit Geld. Aber das tun sie auch bei der Grippeimpfung. Und darüber redet kein Mensch, weil vor der Pandemie Grippe alle Angst haben.

Ehgartner: Eine Angst, die auch von den Experten heftig geschürt wird. So wie auch die Angst vor Krebs – mit dem gleichzeitigen Angebot einer so genannten Krebsimpfung gegen Humane Papillomaviren. Diese HPV-Impfung schlug nun mit Kosten von fast 500 Euro alle Rekorde und setzte sich gleich auf den ersten Platz der umsatzstärksten Arzneimittel.

Kries: Ja, über die exorbitanten Kosten der HPV-Impfung redet kaum jemand. Die wollen sie alle haben, obwohl diese in frühestens zwanzig Jahren einen messbaren Einfluss auf die Krebs-Sterblichkeit haben wird.
Dass wir in Deutschland das PAP Screening-Programm mit den weltweit häufigsten Untersuchungsangeboten und gleichzeitig eine der höchsten Raten an Cervix Karzinom haben, davon redet auch keiner. Die Inanspruchnahme des PAP Screenings ist sogar relativ hoch. 80 Prozent der Frauen gehen mindestens alle drei Jahre hin, das ist genauso viel wie in anderen Ländern. Also warum ist dann bei uns die Krebsrate höher? Eine mögliche Erklärung wären Defizite beim Pap-screening. Verbesserungen in diesem Bereich könnten im hier und jetzt Krebserkrankungen verhindern.

Ehgartner: Offenbar haben Sie sich mit diesen Einwänden in der STIKO nicht durchgesetzt. Denn deren Empfehlung war es ja, welche die Kassen zur Kostenübernahme zwang. Bei der Sechsfachimpfung Hexavac trugen ihre Ergebnisse jedoch sehr dazu bei, dass über eine Marktrücknahme diskutiert wurde. Hexavac zeigte in ihrer Studie im Vergleich zum zweiten Produkt Infanrix hexa eine höhere Neigung zu schweren – manchmal tödlichen Nebenwirkungen.

Kries: Es wurde darüber diskutiert, ob man Hexavac vom Markt nehmen soll. Ich habe mich sehr dafür ausgesprochen. Auch wenn die Evidenz nicht glashart war. Doch unter dem Vorsatz in erster Linie keinen Schaden zuzufügen, hätte man Hexavac sofort zurücknehmen sollen als sich das Signal zeigte. Es gab einen Alternativ-Impfstoff, also auch keine innere Notwendigkeit, Hexavac unbedingt auf dem Markt zu halten. Bewiesen ist es anderseits nicht, dass Hexavac die Todesfälle verursacht hat.

Ehgartner: Hexavac wurde dann mit dem Argument vom Markt genommen, dass die Langzeitwirkung der Hepatitis B Komponente fraglich sei. Das klingt sehr nach einer Ausrede.

Kries: Ob der genannte Grund ein willkommener Anlass für die Marktrücknahme war, kann ich nur spekulieren. Doch stellen Sie sich vor, man hätte öffentlich verkündet, dass Hexavac wegen der Todesfälle vom Markt genommen wird. Das hätte sicher zu sehr viel mehr Verunsicherung geführt und dem Impfgedanken mehr geschadet.


Dieses Interview wurde im September 2007 geführt und ist in meinem aktuellen Buch "Lob der Krankheit" zitiert.

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