Freitag, 18. April 2008
Ex-STIKO-Chef Schmitt: "Da braucht man kein Gehirn"
Interview mit Heinz-Josef Schmitt, dem langjährigen Vorsitzenden der STIKO (Ständige Impfkommission am Robert Koch Institut), der im September 2007 zum Impfstoffhersteller Novartis Behring gewechselt ist.
Das Interview wurde am 11. Oktober 2007 geführt, kurz nach dem Abgang Schmitts als STIKO Chef. Teile des Interviews, sind in meinem eben erschienenen Buch „Lob der Krankheit“ verwendet.
http://www.ehgartners.info

Hier Teil eins einer ausführlicheren Version des Interviews.

Heinz-Josef Schmitt, Langzeit-Vorsitzender der STIKO
Foto: Süddeutsche (oh)

Ehgartner: Warum haben Sie die Universität Mainz und auch die STIKO verlassen und sind in die Industrie gewechselt?

Heinz-Josef Schmitt: In Deutschland kriegen Sie einfach keine Gelder für Infektionsepidemiologie. Sie kriegen einfach nichts von öffentlicher Seite.
Ich habe nun kurzfristig vor acht Wochen dieses Angebot bekommen und ich habe zugeschlagen weil ich jetzt die Forschung machen kann, die ich als deutscher Hochschullehrer nicht machen konnte. Ich will meinen Weggang zu Novartis Vaccines nicht instrumentalisieren, sondern Wissenschaft machen. Und das kann ich hier nun. An deutschen Universitäten sind bestimmte Sachen einfach nicht möglich, Wissenschaft wird im universitären Umfeld zunehmend schwierig. Sie geht in der Routine unter und sie können gar nicht mehr arbeiten. Ich bin jetzt glücklich mit dem was ich mache, weil ich jetzt wieder wirklich Wissenschaft mache und mich nicht um solche Dinge kümmern muss, ob mein Computer funktioniert oder ähnliche Nebensächlichkeiten.

Ehgartner: Ihr erster Job war die Durchführung einer Grippe Studie in der Saison 2007/2008 an Babys und Kleinkindern mit dem Novartis Impfstoff Fluad, der bislang nur für ältere Personen zugelassen war. Was war der Zweck dieser Studie?

Schmitt: Diese Studie habe ich zuvor bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingereicht – und sie wurde nicht mal angenommen, sondern wurde zurückgeschickt. Es hieß, so was fördern wir nicht. Was soll man da machen? Wir brauchen diese Daten in Deutschland, denn wir müssen die Bevölkerung vor Influenza schützen. Und wir müssen wissen, wie man das am besten macht.
Der Grippeimpfstoff Fluad ist schon länger in Gebrauch, aber zum ersten Mal wird er nun in Deutschland im frühen Kindesalter eingesetzt. Ab 6 Monaten. Wir wollen die Fragen zur Häufigkeit von Influenza in deutschen Haushalten beantworten: Wie häufig sind bestimmte Infektionskrankheiten in Deutschland und wie werden sie übertragen.

Ehgartner: Wie ist die Studie aufgebaut?

Schmitt: Wir planten die Studie mit 4000 Haushalten und wollen sehen, wie häufig die Influenza da ist und ob man mit der Impfung der Kinder auch das Umfeld schützen kann. Das hat große Bedeutung im Fall der Pandemie. Der Influenza Impfstoff ist in dieser jungen Altersgruppe noch nicht zugelassen. Das Problem ist die Immunität. Gerade bei denen, die ihn am dringendsten brauchen, den Alten und den ganz Jungen ist die Immunität nicht besonders gut. Der Trick ist, dass wir ein Adjuvans dazugeben, dass die Immunität verbessert. Novartis hat das Adjuvans MF59. Das ist schon 20 Millionen Dosen Mal gegeben worden, das ist ne super neue Sache. Die Immunität ist besser, auch im frühen Kindesalter. Wir wollen nun zeigen, dass auch die Wirksamkeit besser ist.

Ehgartner: Handelt es sich um eine Placebo kontrollierte Studie?

Schmitt: Ja, allerdings geben wir kein Wasser, sondern andere Impfstoffe, so dass die Teilnehmer der Studie auf jeden Fall einen Vorteil haben. Die Kinder kriegen im Zufallsprinzip entweder die Grippeimpfung, die FSME-Impfung oder die Impfung gegen Meningokokken C, also auf jeden Fall einen Schutz gegen etwas, das sie sonst nicht bekämen. Es ist jedoch verblindet, so dass man nicht weiß, wer in welcher Gruppe ist.

Ehgartner: Warum geben Sie kein neutrales Placebo?

Schmitt: Das würde ja bedeuten wir müssten Wasser spritzen oder eine Salzlösung. Das wäre unethisch. Das würde keine Ethikkommission der Welt mehr durchgehen lassen, dass man Kindern Kochsalz spritzt. Man kann ja einem Kind nicht zum Spass Schmerz zufügen. Es muss einen Vorteil davon haben, dass man ihm Schmerz zufügt.

Ehgartner: Sie haben schon zu Ihren aktiven Zeiten in der STIKO häufig Studien für die Industrie gemacht. Sahen Sie das nicht als Interessenskonflikt, wo sie doch zum einen finanzielle Zuwendungen erhalten haben und zum anderen einem objektiven – vom Gesundheitsministerium eingesetzten – Beratungsgremium vorstanden?

Schmitt: Die Zusammenarbeit mit der Industrie ist ja auch politisch gewollt.
Vorher habe ich das punktuell gemacht. Beispielsweise bei der Pneumokokken-Impfung. Der Nachteil dabei ist: Bei den STIKO-Beratungen zum Thema und bei der Abstimmung habe ich vor der Tür gesessen. Wenn man eine Studie zum Thema macht, kann man nicht mit beraten. Das finde ich völlig okay. So wurde das bei der STIKO gehandhabt.
Da ich jetzt aber in größerem Umfang mit der Industrie zusammen arbeite kann ich auch nicht mehr Mitglied der STIKO sein.

Ehgartner: Sie haben dieses Jahr einen Preis von 10.000 Euro für Ihre Aktivitäten „zur Förderung des Impfgedankens“ angenommen. Der Preis wurde vom Hersteller der HPV-Impfung Sanofi-Pasteur MSD gestiftet. Kurz darauf hat die STIKO, deren Vorsitzender Sie bis vor kurzem waren, die Impfung empfohlen. Ist das nicht eine recht schiefe Optik?

Schmitt: Ich habe den Preis nicht vom Hersteller bekommen, sondern von der deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. Die vorangegangenen Preisträger waren vom Berufsverband der Kinderärzte oder vom Robert Koch Institut.

Ehgartner: Sie verstehen die Kritik also nicht?

Schmitt: Wenn man in entscheidenden Positionen sitzt, muss man damit rechnen, dass irgendwelche Leute Unfug verbreiten. Die Frage ist, wem das nutzt. Ich verstehe ja, dass die Gynäkologen befürchten, dass ihnen in Folge der HPV-Impfung das Screening wegfällt und dass sie da weniger Geld verdienen. Da ist es natürlich klar, dass interessierte Kreise gegen das Impfen eine Gegenoffensive starten.
Aber es kann sich jeder selbst überlegen, ob er HPV-Infektionen ertragen oder sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent davor schützen möchte. Meine 13-jährige Tochter habe ich natürlich geimpft. Das ist gar keine Frage. Doch es wird ja niemand dazu gezwungen, das zu tun.

Ehgartner: Sehen Sie den Vorteil der HPV Impfung so eindeutig, dass die STIKO hier so kurz nach der Zulassung schon eine Empfehlung aussprechen musste?

Schmitt: Die Empfehlung für die Impfung, würde man es im Englischen formulieren, das ist ein No-Brainer. Da braucht man kein Gehirn dafür. Wenn sie die Daten sehen und effektiv bewerten, dann kommen sie zu dem Ergebnis, dass man das empfehlen muss. Deshalb haben wir das auch so rasch empfohlen.

Ehgartner: Was sagen Sie zu dem Vorwurf, Sie seien, etwa durch die Annahme des Preisgeldes von Sanofi Pasteur MSD bestochen worden?

Schmitt: Wenn hier jemand bestochen worden ist, dann die deutsche Gesellschaft für Kinder und Jugendheilkunde. Dass es Geld für den Preis gab, hab ich erst hinterher erfahren. Wenn ich gewusst hätte, was das für Folgen hat, hätte ich das Preisgeld abgelehnt. Zu dem Zeitpunkt hab ich nicht mal im Traum daran gedacht, dass ich das ablehnen sollte.

Ehgartner: Sie verstehen die Kritik also nicht, die hier – etwa in der Süddeutschen Zeitung - geäußert wurde?

Schmitt: Die Frage ist nur, welchen Interessen nutzen die mit solchen Artikeln? Sicher den Gynäkologen, die lieber den Krebs behandeln als ihn zu verhindern. Das kann ich verstehen, dass es Gruppen gibt, die gegen die Impfung sind, weil sie Eigeninteressen haben. Aber dass sich die SZ da vor den Karren spannen lässt, ist mir ein Rätsel.
Das i-Tüpfelchen war dann die Mitteilung, dass das alles nur zustande gekommen ist, weil der Schmitt bestochen war. Das kostet mich ein Achselzucken.

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