Samstag, 15. März 2008
WHO-Epidemiologe James Chin über AIDS
Hier noch das Interview mit James Chin im Volltext:

James Chin, 73, ist Professor für Klinische Epidemiologie an der Universität Berkeley in Kalifornien. Bis 1992 war er leitender Epidemiologe des Globalen Aids-Programmes der WHO in Genf. Im Februar 2007 erschien sein Buch „Die Aids-Pandemie – Die Kollision von Epidemiologie und Political Correctness“ im Verlag Radcliffe, Oxford.

The Aids Pandemic - Cover

„HIV ist für uns keine Bedrohung“

Der US-Epidemiologe James Chin bezichtigt die AIDS-Programme der Vereinten Nationen der Panikmache mit falschen Zahlen.


Profil: Wie haben Sie denn als zuständiger Experte der WHO die Entwicklung der AIDS-Epidemie in den 80er Jahren eingeschätzt?

Chin: Damals warteten wir alle auf die große Welle, den Aids-Sturm, der die Welt überfahren würde. In den USA hat sich aber bereits Ende der 80er Jahre klar gezeigt, dass das Übergreifen der Epidemie auf die heterosexuelle Bevölkerung nicht kommen würde. Bis heute wird dieser Mythos immer wieder hervorgeholt, obwohl es keinerlei Fakten gibt, die das belegen.

Profil: Wie zuverlässig sind denn die Angaben zur tatsächlichen Verbreitung von HIV und AIDS?

Chin: In vielen Ländern wird der Anteil der Infizierten grob überschätzt und seit 2001 müssen die genannten hohen Zahlen fast in allen Ländern revidiert werden. Auch im südlichen Afrika wurden Infektionsraten von durchschnittlich neun Prozent nach genaueren bevölkerungsbasierten Studien auf sechs bis sieben Prozent reduziert. In Kenia lagen die Schätzungen bei nahezu 2,5 Millionen Infizierten. Realistisch sind wir jetzt bei 1,2 Millionen.

Profil: Was sind denn die Gründe dafür, dass die AIDS-Organisationen so daneben lagen?

Chin: Im Lauf der Zeit hat sich eine regelrechte Kultur des Zahlenfrisierens entwickelt. Die meisten, die in diesem Bereich tätig sind, haben überhaupt keine Ahnung, wie diese Daten zustande kommen. Politiker und Medien wissen bis heute nicht, dass die Angaben von UNAIDS, die in den Vereinten Nationen für HIV und AIDS zuständig ist, von der etablierten Faktenlage enorm abweicht. Sie haben die Verbreitung und das Ausmaß der Bedrohung ausnahmslos übertrieben. Es ist erstaunlich, dass die regionalen und internationalen Behörden diese falschen Angaben bislang hingenommen haben.

Profil: Hohe Zahlen rütteln auf, lassen die Alarmglocken läuten und schlussendlich hat das auch Auswirkungen auf die Budgets der AIDS-Hilfe. Ist das nicht auch ein beabsichtigter Effekt?

Chin: Klar spielt das eine große Rolle. Beobachten Sie beispielsweise jetzt die Kampagne um Indien. Hier sind die genannten Zahlen von rund sechs Millionen Betroffenen gleich um das Dreifache zu hoch. Und im selben Ausmaß forderten die UN-Programme auch gleich die Erhöhung ihres eigenen Budgets. Und sie haben das Geld sogar bekommen. Und jetzt halten sie die wirklichen Zahlen zurück. Es ist so, wie wenn sie einem Kind Süßigkeiten geben, das kriegen sie auch nicht mehr zurück.

Profil: Was sind eigentlich die Gründe dafür, dass die heterosexuelle Epidemie zumindest in den Industrieländern ausgeblieben ist?

Chin: Wir wissen heute, dass zur Ausbreitung von HIV ein extrem hohes Level an Risikoverhalten nötig ist. Über Sexualkontakt funktioniert das nur dort, wo die Partner täglich oder zumindest wöchentlich gewechselt werden. In Asien passiert das über käuflichen Sex, in den USA oder Europa in den Schwulensaunen und Treffpunkten, wo während einer Nacht gleich mehrere Partnerkontakte stattfinden. Markante heterosexuelle Ausbreitung sehen wir eigentlich nur in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara. Und hier hat sich während des letzten Jahrzehntes klar gezeigt, dass die Ursache dafür in so genannten kleinen Sex-Netzwerken liegt. Das sind im Schnitt drei bis sechs Menschen, die während eines Jahres regelmäßig Sex haben. Wenn nun jemand HIV reinbringt, infiziert sich die ganze Gruppe.

Profil: Einige Milliarden Dollar im Budget von Präsident Bushs „Krieg gegen AIDS“-Programm sind für die Propagierung von sexueller Enthaltsamkeit reserviert. Das wäre demnach ja eine sinnvolle Prävention.

Chin: An sich wäre das schon effektiv. Bloß Abstinenz funktioniert halt nicht. Es ist dasselbe, wie wenn sie den Leuten sagen, sie sollen zu rauchen aufhören. Die meisten halten sich nicht daran.

Profil: Welche Rolle spielen denn Armut und elende Lebensbedingungen bei der Ausbreitung von AIDS?

Chin: Eine indirekte. Zum einen werden die Menschen natürlich schneller krank, wenn sie auch noch unterernährt sind. Zum anderen führt die Armut dazu, dass viele der in die Großstadt-Slums zugezogenen Frauen, Sex wie eine Ware einsetzen: zur Bezahlung der Miete oder der Lebensmittel. Das macht einen Teil der erwähnten Sex-Netzwerke aus.

Profil: Wo wird denn in den westlichen AIDS-Programmen Geld verpulvert, das anderswo wieder fehlt?

Chin: In Europa sind die teuren Kampagnen zur Prävention von HIV in der Normalbevölkerung rausgeschmissenes Geld. Sinnvoll ist das nur für Hochrisikogruppen. Bei Teenagern sollte man lieber Energien in Aktionen investieren um ungewünschte Schwangerschaften zu vermeiden. Das wäre eine wesentlich lohnendere Aufgabe, denn das HIV-Risiko ist verschwindend gering. Wenn man, so wie in den USA hier ganz stark sexuelle Abstinenz vor der Ehe propagiert, so wird man damit nicht viele HIV-Fälle verhindern. Sogar wenn sich die jungen Leute wirklich daran hielten.

Profil: Wie hoch ist denn nun das tatsächliche Risiko für Heterosexuelle sich mit HIV anzustecken?

Chin: Wer ungeschützten Verkehr mit wechselnden Partnern hat, sollte sich eher um Syphilis oder andere sexuell übertragene Krankheiten Sorgen machen, nicht um HIV.

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