Freitag, 17. April 2009
Opfer, Täter, Mitläufer: Mobbing in der Schule
Lehrer und Eltern bekommen davon wenig mit. Doch für zahlreiche Schüler ist Mobbing ein enormes Problem, das ihren Alltag zur Hölle macht. Am Freitag hält der Göttinger Mobbing-Experte Karl Gebauer zu dem brisanten Thema einen Vortrag in St. Pölten.

gemobbtes Mädchen

Alice, 13, schrieb seit der Volksschule immer gute Noten und lernte gerne. Auch nach ihrem Wechsel in ein Gymnasium in St. Pölten war sie Klassenbeste. Bis sich vor zwei Jahren ihr Leben dramatisch änderte: „Alles ging von einem Mädchen aus, das mich nicht mochte“, berichtet sie. „Das Mädchen hat mich ständig eine Streberin und Schleimerin genannt“, erzählt Alice. Die Mitschüler schauten zuerst nur lachend zu, dann machten einige mit und gingen auch auf sie los. „Ich war total verunsichert, habe zu lernen aufgehört und immer schlechtere Noten bekommen.“ Alice hoffte, dass damit die Schikanen aufhören würden. Doch es wurde nur noch schlimmer. „Sie haben mir Sachen kaputt gemacht, mich beleidigt, angespuckt und immer gesagt, ich bin hässlich.“
„Gemobbte Kinder haben einen ungeheuren Ehrenkodex“, erklärt Kathrin Liebing, Schulsozialarbeiterin aus St. Pölten. „Meist erleiden sie einen langen inneren Konflikt, bevor sie endlich jemand erzählen, was sie mitmachen.“
Einmal wurde Alice von einem Lehrer angesprochen. Er fragte, was mit ihr los sei. Sie weinte, vertraute sich ihm an. Daraufhin wandte sich der Lehrer an die Mobber. „Doch das ging total nach hinten los“, erzählt Alice. „Ich war nun als Petze verschrien.“
Auch ihre Mutter war keine Hilfe. Hier bekam sie nur die Botschaft: „Da musst Du durch. Das wird schon aufhören.“ Alice blieb immer häufiger mit Bauchschmerzen von der Schule zu Hause, oder bog vor dem Schultor wieder ab, ging irgendwo hin. „Wo ich war, weiß ich gar nicht mehr“, sagt Alice. „Es kommt bei den Schülern in solchen Fällen oft zu einem Blackout“, erklärt der Göttinger Lernforscher und Mobbing-Experte Karl Gebauer. „Sie wissen nicht, wo sie hin sollen, haben zu niemand mehr Vertrauen.“
Mittlerweile hat Alice die Schule gewechselt und ist – nach schwerer Depression – in psychiatrischer Behandlung. „Was ich durchgemacht habe“, sagt sie, „wünsche ich niemandem.“
Mobbing ist ein aggressiver Akt und bedeutet, dass ein Schüler oder eine Schülerin über einen längeren Zeitraum von Mitschülern belästigt, schikaniert oder ausgegrenzt wird. Mobbing läuft in der Regel verdeckt ab. „Mobber wollen treffen, aber selber nichts abbekommen“, erklärt Karl Gebauer. „Die Opfer fühlen sich hilflos und können sich nicht allein aus ihrer Isolation befreien.“
Bei Buben ist Mobbing rasch auch mit körperlicher Gewalt und Erpressung verbunden. „Kauf mir eine Jause, sonst erlebst Du was…“. Solche Drohungen, oft nur im Vorbeigehen geäußert, bekommen Lehrer nur in den seltensten Fällen mit. Doch Kinder die einmal in der Defensive sind, kommen nur noch schwer alleine raus.
Für Erzieher, Sozialpädagogen und Lehrer ist der Umgang damit enorm schwierig. In der Ausbildung wird darauf kaum eingegangen. Patent-Rezepte gibt es ohnedies nicht. „Überall wo Mobbing passiert, gehen Beziehungen in Brüche“, sagt Gebauer, „wenn Kinder in eine Mobbing-Situation geraten, sind sie völlig hilflos, es braucht dafür Helfer mit Durchblick und Mut.“
Professionelle Ansprechpartner für Kinder, aber auch für Lehrer oder betroffene Eltern sind die auf Schulprobleme spezialisierten Sozialarbeiter, etwa jene von x-point, einer Organisation die an 25 Schulen Niederösterreichs aktiv ist. „Die Täter haben oft gar nicht das Gefühl, dass sie Gewalt ausüben“, erklärt Sozialarbeiterin Liebing. „Sie halten das für Spaß und finden dann bereitwillige Nachahmer und Mittäter.“ Wichtig sei es, sagt Liebing, dass sowohl die Eltern als auch die Lehrer sensibler für diese Problematik werden. „Denn wenn sich das verfestigt bei den Kindern und es zu keiner Lösung kommt, kann das verheerend sein und sogar im Selbstmord enden.“

Dr. Karl Gebauer

Dr. Karl Gebauer, ist eh. Rektor der Leineberg-Grundschule in Göttingen. Der Autor zahlreicher Bücher gründete gemeinsam mit dem Neurobiologen Prof. Gerald Hüther die Aktion WIN-Future, ein wissenschaftliches Netzwerk für Entwicklungs- und Bildungsforschung. Sein Vortrag richtet sich vor allem an Eltern und Lehrer.
Am Samstag, dem 25. April ist Dr. Gebauer auch Teilnehmer beim „Dialogforum“ der Lernwerkstatt im Wasserschloss Pottenbrunn im Rahmen des lws:fest.tag09

Mobbing Vortrag Dr. Karl Gebauer

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Freitag, 19. Dezember 2008
A shocker for rockers!
headbanger
Alle Jahre wieder bringt das British Medical Journal seine Faschingsausgabe vor Weihnachten und widmet sich darin den elementaren ungelösten Problemen der Medizin. Etwa den Gefahren, welchen "Headbanger" bei Heavy Metal Konzerten ausgesetzt sind, oder der Frage, ob Coca Cola als Verhütungsmittel taugt.


Die Forscher haben keine Strapazen gescheut. Declan Patton und Andrew McIntosh von der Universität von New South Wales in Australien besuchten für ihre Studie mehrere Hardrock-Konzerte, darunter jene so bekannter Rabauken wie Motörhead, Ozzy Osborne und Skid Row und studierten dabei die Technik des Headbangens. Sie wollten klären, ob bei exzessiver Auslegung dieser Tätigkeit tatsächlich traumatische Hirnverletzungen, Gehörverlust oder ein Schlaganfall drohen. Dazu studierten sie den genauen Bewegungsablauf und übertrugen diese per Computer-Simulation auf Crash Test Dummys, wie sie bei Auto-Sicherheitstests verwendet werden.

Bereits bei einer Frequenz von 130 Kopfschüttlern pro Minute beginnt die kritische Phase mit einem deutlich erhöhten Risiko, dass dabei im Hals/Nacken-Bereich Verletzungen auftreten. Der Durchschnitt der für ein rhythmisches Mitshaken nötigen Beat-Frequenz liegt aber mit 146 Schlägen pro Minute deutlich höher. Und damit zeigte sich das enorme Ausmaß der Bedrohung.
Gesteigert wird dies noch, wenn der Kopf bei seiner wüsten Berg- und Talfahrt einen Winkel von mehr als 75 Grad überschreitet. Als abschreckenden Höhepunkt nennen die Australier den Song "Kickstart My Heart" von Mötley Crüe, der sich durch 180 Beats pro Minute und einem Schleuderwinkel von bis zu 120 Grad auszeichnet. "Das übersteigt die Grenzen der menschlichen Körpertoleranz bei weitem", warnen sie.

Doch die Wissenschaftler wären keine verantwortungsvollen Mediziner, wenn sie nicht auch ein paar gute Tipps und Präventionsmaßnahmen ausgeknobelt hätten.
So regen sie an, das Musikprogramm der Auftritte zu ändern und anstelle von Heavy Metal besser Nummern von Enya, Michael Bolton oder Celine Dion zu spielen. Hier läge das Risiko nahe null. Auch musikalische Erziehungskampagnen für die Jugend - geleitet beispielsweise von Cliff Richard - wären denkbar.

In einem weiteren Studien-Beitrag widmete sich die Gynäkologin Deborah J. Anderson von der Boston University der in der Vor-Pillen-Ära weit verbreiteten Methode, Spermien durch eine Vaginaldusche mit Coca Cola abzutöten und damit Schwangerschaften zu verhindern. Diese Methode, so Anderson, sei unter anderem deshalb so beliebt gewesen, weil die klassische Coca-Cola Flasche einen idealen "Shake and Shoot"-Applikator darstelle.
Ob die Methode noch immer angewendet wird, sei schwer zu eruieren, in Ressourcen-schwachen Sozialschichten aber durchaus wahrscheinlich.

Anderson mixte also Cola und Sperma in einem Verhältnis von 5 zu 1 und analysierte den Effekt.
Dabei zeigte sich, dass es eine ganze Minute brauchte, bis die Samen bewegungsunfähig waren. Toxikologische Zusatztests ergaben, dass die spermizide Wirkung von Cola wesentlich schwächer war, als erwartet. Bis die Lähmungskraft von Cola voll einsetzt, wären die Spermien demnach schon längst durch den Zervixkanal entkommen.
Anderson rät aber nicht nur aus Gründen der sicheren Verütung von der Methode ab. Denn auch wenn Cola nicht vor Schwangerschaft schützt, sei das Gebräu doch alles andere als harmlos. "Es mag sein, dass Cola gut dafür geeignet ist, alte Wagenheber zu entrosten, doch für das Vaginalgewebe ist diese Chemikalie ungeeignet. Sie kann die oberen Zellschichten schädigen und das Risiko von Geschlechtskrankheiten erhöhen."

Schließlich bestehe noch die Gefahr, dass Cola-kontaminierte Spermien, die es dennoch zum Eisprung schaffen, einen inneren Schaden davontragen, – mit ungewissen Folgen für den daraus hervorgehenden Nachwuchs. "Da Coca Cola das Rezept des Getränks streng geheim hält, konnten hier noch keine wissenschaftlichen Tests vorgenommen werden, die eine potenzielle Schädigung des Erbgutes ausschließen."

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Mittwoch, 10. Dezember 2008
Ansteckende Lebensfreude
lachende FrauKann ein fröhlicher Nachbar, die ganze Umgebung mit Lebensfreude infizieren? Warum werden die Freunde von Dicken selber dick? Und sind Kopfschmerzen ansteckend? In der aktuellen Ausgabe des britischen Ärzteblattes (BMJ) ist ein amüsanter Schlagabtausch im Gange, ob sich soziale Phänomene Epidemie-artig ausbreiten können, oder ob das Unfug ist.

Framingham, ein Ort in der Nähe von Boston im US-Bundesstaat Massachusetts, gilt als die besterforschte Gemeinde der Welt. Seit 1948 unterzieht sich ein Großteil der Bürger freiwillig ärztlichen Untersuchungen, sowie einem ausufernden Fragenkatalog über alle Bereiche des Lebens.
Über die Framingham-Studien wurden zahllose Risikofaktoren identifiziert, darunter so berühmte wie Rauchen, Cholesterin oder Übergewicht.

Der unglaubliche Datensschatz inspiriert die Wissenschaftler auch immer wieder zu - auf den ersten Blick absurden - Gedankenspielen. So wurden die Framinghamer Bürger beispielsweise auch gebeten, die Namen und Adressen ihrer Freunde bekannt zu geben. Weil diese zum Großteil auch Studienteilnehmer sind, ergab sich ein soziales Netzwerk aus 4739 Personen, über die (fast) alles bekannt war. Statistikerherz, was willst du mehr?

Nicholas Christakis, Soziologe an der Harvard Medical School und der Politologe James Fowler von der Universität von Kalifornien in San Diego interessierten sich für das Lebensglück der Einwohner, das über die Antworten auf mehrere Fragen in einer Skala festgelegt wurde.
Dabei stellte sich heraus, dass Lebensfreude tatsächlich ansteckend ist, und sich über das soziale Netz in Beruf, Nachbarschaft und Freundeskreis epidemisch ausbreitet.
Seltsamerweise ist der eigene Ehepartner dabei am wenigsten infektiös. Die Chance, dass das Glück von Mann oder Frau aufeinander übersprang, betrug nur recht magere acht Prozent. Wenn ein glücklicher Bruder oder eine happy sister in der Nähe lebte, stieg die Chance auf das eigene Lebensglück immerhin um 14 Prozent. Die intensivste Ansteckungsgefahr geht hingegen von den unmittelbaren Nachbarn aus. Wenn diese über den gemeinsamen Gartenzaun regelmäßig gute Stimmung verbreiten, so steigt die eigene Lebensfreude gleich um satte 34 Prozent.

"Alles Blödsinn", entgegneten der Finanzfachmann Ethan Cohen-Cole sowie Jason Fletcher, Public Health Experte an der Yale University. Soziale Faktoren seien keinesfalls ansteckend, sondern würden durch gemeinsame Lebensumstände erklärt.
Die beiden nahmen sich dazu drei solche Phänomene: die Hautkrankheit Akne, die Körpergröße und Kopfschmerzen. Sowohl Akne als auch Kopfschmerzen gelten als nicht ansteckend. Und dennoch kam bei der Auswertung dasselbe raus, wie bei der Lebensfreude: Das persönliche Umfeld übt einen enormen Einfluss aus. Freunde mit Akne erhöhen das eigene Aknerisiko um 62 Prozent. Die Migräne der Freundin springt zu 47 Prozent über. Und sogar die Körpergröße färbt zu 20 Prozent ab.
Was steckt hier also dahinter? Suchen sich große Menschen nur annähernd gleich groß gewachsene Freunde und bleiben ebenso unter sich, wie die Kleineren?
Keinesfalls, lautet die Antwort der Autoren. Die Antwort liegt vielmehr in den Einflussfaktoren aus Alter, ethnischer Herkunft, Ausbildung und sonstigem Sozialmilleu. Latinos seien nunmal im Schnitt etwas kleiner als "Kaukasier", wie Angehöriger weißer Hautfarbe im angloamerikanischen Sprachraum wissenschaftlich bezeichnet werden. Auch die Neigung zu Akne hängt mit der Herkunft zusammen. Und bei Kopfschmerzen steigt das Risiko eben mit Bildung und Einkommen. So unspektakulär ließen sich diese Phänomene erklären.
Und auch das Deutsche Ärzteblatt lässt sich von dieser miesen Stimmung anstecken:
"Tatsächlich dürfte der Unterhaltungswert solcher Studien für die Medien größer sein als der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn."

Ich bin mir da nicht so sicher. Denn hat schon einmal jemand untersucht, worin das Wesen von Störgrößen besteht?
Warum haben denn Menschen aus Familien mit höherer Bildung und Einkommen eher Kopfschmerzen?
Etwa deswegen, weil sie mehr über Kopfschmerzen reden und damit die Aufmerksamkeit und die Sensibiliät für das "Nachspüren" eigener Kopfschmerzen erhöhen?
Wer hier erst mal die Schmerz-Schwelle ordentlich runter gefahren hat, wird schon minimalste Kopfschmerzen wahr nehmen und allein durch die Aufmerksamkeit werden auch die Schmerzen intensiver. Und wenn sich diese dann auch noch für ein bestimmtes Argumentationsmuster eignen (Z.B: Absage einer unliebsamen Einladung, Sexverweigerung, Beenden oder Aufschieben von Arbeit, Schwänzen der Schule), so kann sich Kopfschmerzen rasch verselbständigen und unbewusst internalisiert werden.
Ein Hinweis auf den enormen Einfluss psychischer Faktoren ist auch die hohe Empfänglichkeit von Kopfschmerzen auf Plazebo-Therapie.

Wer diese Phänomene als simple statistische Störgrößen abtut, greift meiner Meinung nach gewaltig zu kurz.

Denn es ist nunmal eine Tatsache, dass Beispiele wirken. Ein Freundeskreis, in dem geraucht wird, erhöht die Rückfallsquote enorm. Während ein Freundeskreis, in dem alle stark übergewichtig sind, wohl auch eine Menge dafür nötiger Einstellungen und Lebensgewohnheiten vermittelt.

Dass sich diese Negativschleifen allerdings am Beispiel der Lebensfreude auch ins Gegenteil umkehren lassen, das ist für mich die positive wissenschaftliche Erkenntnis des Tages.

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