Dienstag, 19. Februar 2008
Pneumokokken-Impfung führt zu mehr statt zu weniger Krankheiten
Ich habe vorhin eine spanische Studie durchgelesen, die wirklich erstaunliche Resultate ergeben hat:
http://www.journals.uchicago.edu/doi/full/10.1086/524660

Das Wissenschaftler Team aus Barcelona widmete sich der Frage, wie die Einführung der Pneumokokken-Impfung die Situation bei den mit diesen Bakterien assoziierten Krankheiten verändert hat.

Zumindest in den ersten Jahren nach der Einführung der Impfung ("Prevenar" kam im Jahr 2000 in den USA, ein Jahr später in Europa auf den Markt) waren die Experten noch regelrecht euphorisch. Die Impfung zeigte nämlich einen positiven Effekt, der weit über die Gruppe der Geimpften hinausging. Weil Ansteckungen verhindert wurden, kam es auch in ungeimpften Gruppen, etwa bei Senioren zu starken Reduktionen bei invasiven Pneumokokken-Erkrankungen. Vor allem betraf das Meningitis, Lungenentzündungen und Sepsis. Ein möglicher positiver Effekt auf die Vermeidung von Mittelohrentzündungen wurde zwar häufig behauptet, brachte bisher aber höchst widersprüchliche Resultate.

Später zeigten sich in den USA dann unerwartete Rückschläge, etwa bei einer Studie unter der indigenen Bevölkerung Alaskas.
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17456820?dopt=Abstract

Hier kam nun die Befürchtung auf, dass die sieben Stämme, vor denen die Impfung schützt von den zahlreich vorhandenen anderen Pneumokokken-Arten ersetzt werden könnten (Replacement Effekt).
Nach dem raschen Rückgang der Krankheitsfälle bei Einführung der Impfung sorgten von Jahr zu Jahr immer mehr andere Serotypen, speziell der Pneumokokken-Typ 19A, für ein Comeback der Bakterien.

Die Zahl der Krankheiten stieg rasch an und erreicht nun in Alaska beinahe schon das Niveau der Vorimpf-Ära.

Die aktuellen spanischen Daten gehen sogar noch weit darüber hinaus und zeigen, dass heute deutlich mehr Kinder an Pneumokokken erkranken als vor Einführung der Impfung.

In der prospektiv angelegten Studie wurde der Zeitraum fünf Jahre vor der Einführung der Impfung (1997-2001) mit dem Zeitraum danach (2002-2006) verglichen.

Die Fälle von Meningitis und bakterieller Blutvergiftung blieben halbwegs auf dem selben Niveau.
Lungenentzündungen, speziell jene mit eitrigen Einschlüssen, nahmen jedoch enorm zu:
Die Rate bei Kindern unter fünf Jahren stieg von 3,6 Krankheits-Episoden pro 100.000 vor der Impfung auf 15,1 Episoden pro 100.000 nach der Einführung der Impfung steil an. Das entspricht einer Zunahme von 320 Prozent!

Insgesamt traten im Beobachtungszeitraum 198 Epidsoden von invasiven Pneumokokken-Erkrankungen auf. Das durchschnittliche Alter der kranken Kinder betrug 3 Jahre. 43 Kinder mussten auf die Intensivstation, sieben Kinder starben (4 an Meningitis, 2 an Sepsis, und 1 an Lungenentzündung).

Bei jedem einzelnen Krankheitsfall wurden die beteiligten Bakterientypen genau bestimmt.

Durch die Impfung wurden die 7 Impftypen tatsächlich in ihrem Auftreten um 40 Prozent reduziert.
Dies wurde jedoch mehr als ausgeglichen durch eine Zunahme der nicht in der Impfung enthaltenen Pneumokokken-Typen: Sie waren im Zeitraum nach der Impfung mehr als fünfmal so oft an Krankheiten beteiligt als davor. Sie hatten also den Platz der verdrängten Impftypen doppelt und dreifach belegt und waren von einst weitgehend harmlosen Bakterien zu gefährlichen Keimen mutiert.

Dabei kam es zu einigen eigenartigen Phänomenen. So tauchte der USA-Typ 19A, der bislang in Spanien kaum beobachtet wurde, plötzlich als potenter Krankheits-Verursacher auf. Zudem kam es scheinbar zur Mutation einzelner in der Impfung enthaltener Serotypen.

Während die Impftypen in der Mehrzahl Bakteriämien (vorübergehendes Vorkommen von Bakterien im Blut) bzw. Blutvergiftung auslösten, verursachten die "neuen" Keime vor allem eitrige Lungenentzündungen.

Die Autoren zeichnen damit ein durchaus düsteres Bild der Auswirkungen der Einführung der Pneumokokken-Impfung in Spanien. Ob sich die Situation noch weiter verschärft, wenn die Impfrate von derzeit 50% weiter ansteigt, ist ungewiss.
Es zeigt sich bei dieser methodisch gut durchgeführten Arbeit jedoch recht deutlich, dass es problematisch ist, einfach US-amerikanische Verhältnisse auf Europa zu übertragen und sich darauf zu verlassen, dass sich die Bakterien-Typen hüben wie drüben nicht unterscheiden.

Wie die Situation bei Pneumokokken-Infektionen in Deutschland oder Österreich aussieht, weiß niemand, weil es hier meines Wissens keine begleitende Kontrolle gibt, keine ähnlich detaillierten Arbeiten wie jene aus Spanien publiziert wurden und überhaupt gar niemand an die Notwendigkeit einer derartigen prospektiven Untersuchung gedacht hat.

Wir sind es scheinbar gewohnt, die Informationsbeschaffung der Industrie zu überlassen - am besten der amerikanischen Industrie (die eigene schläft den Schlaf der Behörden mit und ist scheinbar mit Lizenzierung, Übersetzungsarbeiten und Vertretertätigkeit vollends ausgelastet).

In Deutschland ist die Pneumokokken-Impfung seit der im Sommer 2006 erfolgten Empfehlung der STIKO für alle Babys empfohlen und kostenlos.
Der ehemalige Stiko-Chef Schmitt hatte sich für diesen Beschluss sechs Jahre lang den Mund fusselig geredet, bis die Kommission endlich seinen Empfehlungen gefolgt ist. Selbst durfte er ja leider nicht mit abstimmen, weil er die Impfstudien selbst geleitet hatte.
In Österreich ist die Impfung ebenso empfohlen, muss allerdings selbst bezahlt werden. Noch bis Ende Februar läuft eine Pneumokokken-Impfaktion. Eine Einzelspritze Prevenar kostet nun 79,-- statt 117,85 Euro.
Babys sollen nach dem Impfplan dreimal im 1. Lebensjahr, sowie abschließend noch einmal im 2. Lebensjahr geimpft werden.

Nach den derzeitigen Ergebnissen sieht es so aus, wie wenn diese Empfehlung der Impfexperten zum einen rausgeschmissenes Geld für Eltern und Steuerzahler bedeutet, zum anderen auch noch gesundheitsgefährdend ist.

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